HAZ vom 25.11.2013

Auf nach Arkadien!

Das Nomos-Quartett im Sprengel Museum

Von Ludolf Baucke

Paradiesisches fest im Blick - und in den Ohren: Das Nomos-Quartett hat zu einem Arkadien-Abend in die akustisch vortreffliche Halle des Sprengel Museums eingeladen. Bei allerlei Wohlfühlmomenten durfte dem kundigen Publikum bei Mendelssohns Konzertstück für Klarinette, Bassetthorn und Streichquartett sogar das Wasser im Munde zusammen laufen. Der junge Romantiker hatte das Werk für den zeitgenössischen Klarinettenvirtuosen Bärmann als Gegenleistung für sein Leibgericht Dampfnudeln und Rahmstrudel komponiert. Das Klarinettenduo Beate Zelinsky und David Smeyers interpretierte das Sextett gemeinsam mit den Streichern angenehm geschmeidig.

Das Publikum war bestens eingestimmt auf ein bei Nikolaus Brass bestelltes Sextett mit dem Titel "Aus dem Tagebuch der Liebenden".Dieses vieteilige Werk kostet in zwanzig Minuten Schwebungen von eng beieinander liegenden Klarinettentönen aus, garniert diese mit zarten Glissandi, aber auch hart gezupften Klängen des Streichquartetts. Mitunter korrespondieren Streicherflageoletts mit den Klarinettenlinien. Im dritten Satz lässt überdeutlich eine fast wie ein Lockrufangestimmte kleine Terz aufhorchen, doch Trübungen bleiben nicht ausgeschlossen. Zum Schluss enzschwindet die Musik mit tiefen und den vom Anfang bekannten Streicherglissandi. Die Uraufführung in Anwesenheit des Komponisten geriet zum Höhepunkt des Programms und wurde kräftig applausiert.

Nach der Pause erkundete das Nomos-Quartett in der siebensätzigen "Arcadiana" des Briten Thomas Adès einen fast ununterbrochenen und mit allerlei Anklängen an die Überlieferung garnierten Wohllaut. Reibungen wie zuvor im Brass-Quintett blieben in dieser Wellnessmusik ausgespart. Dem bestens aufgelegten und ungemein differenziert musizierenden Nomos-Quartett schien das nur paradiesische nicht ganz geheuer zu sein. Es hatte zuvor Mozarts G-Dur-Streichquartett KV 156 musiziert. Dessen e-Moll-Andante ließ schon im zweiten Akkord unparadiesisch Schmerzliches anklingen.

 

Münchner Merkur, 16. Oktober 2012

Tutzinger Brahmstage

Gelungener Auftakt mit dem Nomos-Quartett

Tutzing. Der graue und nasskalte Herbst verkehrt sich in eine Zeit der Hochstimmung, wenn die fetslichen Klänge der "Tutzinger Brahmstage" zum Ausgehen verlocken. Den Auftakt machte am Sonntagabend das in Sechserformation aufspielende Nomos-Quartett.

Geige, Bratsche und Cello jeweils in Doppelbesetzung: Ein satter Streicherton war damit gesichert. Sogleich aber fügten die Instrumentalisten eine weitere Tugend hinzu, näm lich die Durchsichtigkeit des Klangs. Trotz dichter Tiefen blieb das Leuchten der Geigen ungeschmälert.

Die herausragende Interpretation wurde gleich bei Beethovens sechster Sinfonie hörbar. Im ersten Satz flossen das liebevolle Thema der Geigen, die zart angedeutete Tanzmelodie und das lausbubenhafte Losstürmen aller Streicher zusammen zu einer Kamerafahrt durch ein idyllisches Auenland mit fröhlich-schelmischen Bewohnern.

Zurecht trägt die Sinfonie den Beinahmen "Pastorale", und ebensoo gültigerschien, dass Michael Gotthard Fischer das Werk 1810 als Kammermusik auf ein Streichsextett umgeschrieben hatte. Schummrig, geradezu schattenkühl klangen die Celli (Sabine Pfeiffer, Wen-Sinn Yang) in der "Szene am Bach" herüber. Überschwänglich stoben die Geigen(Martin Dehning, Birte Päplow) in Feierlaune bis das Tremolo der Bratschen (Friederike Koch, Charlotte Walterspiel) den peitschenden Gewitterregen umsetzte. Den Verdacht, man habe es mit einer Kinderei zu tun, brach der großartige Stimmungsbogen des Finalsatzes. Lang ausgeführte Harmonien und leuchtende sangliche Motive fühten in ein Idyll, das für Beethoven einen großen Einfall rund machte und eine große Spielleistung krönte.

Brahms' Streich-Sextett G-Gur op. 36 schloss sich an. Warmes Glänzen, dazu das Funkeln der einzelnen Themen: Perfekt koordiniert und scheinbarmühelos ließen die Musiker die Motive bald kontrastiern, bald harmonieren. Wütende Wirbel, süffige Vibrati, dann Zigeunerklänge, Jagdhorn- und Spieluhr-Assoziationen: All dies fügte sich in einen Verbund voll nuancierter und beziehungsreicher Wechsel zwischen dramatischen und freundlichen Passagen. Brahms stand hier in seiner ganzen Komplexität auf der Bühne. Lang anhaltender Beifall folgte.

 

Weser Kurier - 15.03.3012

Von Müttern und Mädchen

Nomos-Quartett und Cornelia Samuelis musizieren in der Glocke

Von Simon Neubauer

      Bremen. Die Philharmonischen Kammerkonzerte vermeiden immer häufiger die seit Jahren Festgezurrte Programmabfolge: Einspielstück und zwei bedeutende Werke, eines vor, das andere nach der Pause. So verlief jetzt das erneute Wiedersehen mit dem Nomos-Quartett in der Glocke ebenfalls äußerst kontrastreich. Das Konzertprogramm stand jedoch unter einem gemeinsamen, fesselnden Gedanken, dem Thema die Mütter und das Mädchen.

      Dem jungen Franz Schubert hatte das „Salve Regina“ von Giovanni Battista Pergolesi offenbar so gefallen, dass er den überlieferten Taxt mehrfach in verschiedenen Tonarten, doch natürlich in eigener Handschrift, vertonte. Ein Stück ist in A-Dur (op. posth. D 676) für Solosopran und vier Streicher gesetzt und folgte in diesem Konzert einer Komposition in c-Moll, die der jung gestorbene Italiener hinterlassen hatte. Beide Werke huldigen Maria, der „Mutter der Barmherzigkeit“, ein Gebet aus dem irdischen „Tal der Tränen“.

      Ganz anders Anton Weberns klingendes Muttergedenken, das er mit „Schmerz immer – Blick nach oben“ betitelte. Er benötigte allerdings nur minimale Mittel, um in kaum mehr als einer Minute ein Höchstmaß an Ausdruck zu erreichen. Seinem Empfinden dienen dabei sowohl die Einzeltöne zwischen Fortissimo-Aufschrei und ersterbendem Flüstern, wie nicht minder die unter Hochspannung gestzten Intervalle.

Cornelia Samuelis meisterte die dreimalige, zwischen die beiden „Salve Reginas“-Vertonungen gesetzte Wiedergabe souverän in der Objektivierung der Form und der untergründig erregten Expression des Klangs. Vermutlich war die Sängerin in der Welt Weberns so sehr gefangen, dass ihr Sopran bei Pergolesi hart und mitunter auch scharf klang. Doch bei Schubert gewann ihre Stimme mehr und mehr an Wohllaut und Wärme.

      Das Nomos-Quartett von dem aus Bremen stammenden Primarius Martin Dehning gegründet und geformt, hatte gleich zu Beginn mit drei vierstimmigen Fantasien von Henry Purcell seine Klasse bewiesen. Aber ihr exzellentes Können, ihre reife Klangqualität und ihre absolute Homogenität des Musizierens entfalteten Dehning und seine Partnerinnen so richtig mit Schuberts Streichquartett d-Moll, D 810, das durch das im Andante variierte Lied „Der Tod und das Mädchen“ seinen Beinamen erhielt.

      Es war zu erwarten gewesen, dass das Nomos-Quartett kein romantisches Nachtstück mit unheimlichen Stimmungsschüben spielen würde, dass es ohne aufgedonnertes Pathos auskommen würde. Vielmehr boten die Gäste das Werk als menschlich nachempfundene, unmittelbar die Hörer erreichende Konfrontation mit der Unheimlichkeit des Todes: Jagend, stockend, verzweifelt und aufbegehrend im dramatischen Impuls der Ecksätze, wunderbar tröstend in den Variationen des ohne falsche Poetisierung erklingenden Andante.

 

 

Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 28. November 2011

Dichtes Brodeln

Das Nomos-Quartett erinnert im Funkhaus an György Kurtág

Von Ludolf Baucke

    Mehrfach musste das Nomos-Quartett sein Programm zu Ehren des Komponisten György Kurtág im Kleinen Sendesaal des NDR-Funkhauses ändern. Zwei Mitwirkende fielen aus – doch sowohl die Geigerin Birte Päplow am Pult der zweiten Violine als auch der eingesprungene Pianist Florian Uhlig erwiesen sich als erste Wahl für detailgetreue Kammermusik. Zusammen mit der Stammbesetzung des Quartetts präsentierten sie ausdrucksvolle Momente in Hülle und Fülle. Das Klavierquintett von Robert Schumann erinnerte an die Bedeutung, die der Romantiker für Kurtág gehabt hat. Eine andere Leitfigur, Anton Webern, wurde zwar nicht mit einem ganzen Werk zitiert, doch durchzogen dessen musikalische Gesten auch alle Werke von Kurtág.

    Auf Zwischentöne hatte Tatjana Prelevic ihr im Oktober abgeschlossenes Streichquartett „In hora mortis“ ausgerichtet. Die in Hannover ansässige Komponistin wählte Texte von Thomas Bernhard und Barbi Markovic, einer Pop-Art-Schriftstellerin aus Belgrad. Deren Angstzustände spiegeln sich eindringlich in den instrumentalen Figuren. Die Streicher zitieren die ausgewählten Texte, wagen einmal einen kollektiven Forteausbruch aus einem 13-minüzigen Pianonetz und lösen zum Schluss die herkömmliche Sitzordnung auf. Das unruhige Brodeln im Vierergefüge verstärkte Bernhards Bild von Enge beim Giegenüben in einer Schuhkammer und übertrug sich auf das Publikum.

 

 

 

 

Das Nomos-Quartett macht die Seele der Musik hörbar.

 

Süddeutsche Zeitung

 

 

The splendidly musical Nomos Quartet gave a glorious performance of the Mozart „Dissonance”.

 

The Independent, London

 

 

– Das war wirklich aufwühlendes Quartettspiel, sprichwörtlich ohne Netz und doppelten Boden!

– Ein Abend, der aus seinen ebenso intelligent wie heißblütig reflektierten Interpretationen Größe gewann.

– Jedes der stets ungewöhnlich durchdacht und bezugreich „gebauten” Recitals dieser hochrenommierten Streicherformation verheißt spannungsgeladene programmatische und interpretatorische Abenteuer.

 

Rhein-Neckar-Zeitung, Heidelberg

 

 

Schubert und Crumb bei der Schubertiade. Schuberts Geist spürten sie nicht nur bei Crumbs „Black Angels” auf, sondern auch im d-Moll-Quartett „Der Tod und das Mädchen”, das sie auf faszinierende Weise gegen den Strich spielten, Nebenstimmen freilegten, nüchtern wurden, wo andere im Pathos schwelgen, ungeahnte Lyrik offenbarten, wo man sonst flott drüberfiedelt. Schuberts Standardstück als Trip ins Unbekannte.

 

Süddeutsche Zeitung

 

 

Das Nomos-Quartett wurde seinem hervorragenden internationalen Ruf wieder einmal gerecht. Im A-Dur-Quartett von Robert Schumann arbeitete das Ensemble effektvoll die irritierend-raffinierte Asynchronität von Melodik und Harmonik heraus. Begeisterter Applaus.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

 

Schubert und die Neue Musik. Quartett-Nacht im Beethovenhaus. Das Nomos-Quartett zeigte sich in den drei unmittelbar aufeinander folgenden Konzerten des Abends bis zur letzten Minute in Hochform, wovon die zeitgenössischen Stücke ebenso profitierten wie die Schubert-Werke. ... Auch die kämpferisch-aufbegehrende Seite des Komponisten wurde ergreifend deutlich gemacht.

 

Bonner Generalanzeiger

 

 

Gespür fürs Unerhörte. Nomos-Quartett in der Alten Oper. „Es ist, als ob die Zitate in schmutzigem Wasser schwimmen”, sagt Adriana Hölszky, die Komponistin, über ihr Streichquartett „Hängebrücken – an Schubert”. Das Wasser ist tief und die Schubert-Partikel entziehen sich dem suchenden Gehör, das über fragilen Grund geführt wird – ein faszinierender Zustand der Schwerelosigkeit. Das Nomos-Quartett spielt diese Musik, als wüsste es alle ihre Geheimnisse. Auf beiden Seiten der „Hängebrücken”: Mozart-Quartette. Hier ist Frieden – serene, abgeklärte, „weise” Charaktere, viel Helligkeit. Leuchtender Ton, sanfte Intensität der Artikulation, behutsame Animation der Klangsprache: Ein weiteres Mal begeisterte das Nomos-Quartett mit seinem Gespür für das Unerhörte.

 

Frankfurter Rundschau

 


Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 16. Juni 2008

 

Musik für die Seele

Das Nomos-Quartett im hannoverschen Pelikansaal

Von Jutta Rinas

 

Es gibt Momente in der Musik, da hat man das Gefühl, etwas zu erleben, das sich mit Worten nicht beschreiben lässt. Transzendenz nennen das manche. Andere würden bescheidener sagen, sie sind tief in ihrer Seele berührt. Beim zweiten Konzert des Nomos-Quartetts „von Ferne und Nähe“ im hannoverschen Pelikansaal ereignete sich einer dieser Glücksmomente am Ende von Sarah Nemtsovs uraufgeführtem Streichquartett „Im Andenken“.

Zart, zerbrechlich, in einem Piano an der Grenze des Wahrnehmbaren erklang der Beginn von Schuberts Andante-Fragment aus dem Streichquartett c-Moll D 703. Mit Dämpfer gespielt und fast doppelt so langsam notiert wie im Original wirkte es, als kämen die Töne aus einer anderen Welt. Eng verflocht die 1980 geborene Sarah Nemtsov das romantische Fragment mit ihrer eigenen modernen Musiksprache. Musik aus Schuberts Streichquartettfragment hatte die Komponistin, die bis 2005 an der hannoverschen Musikhochschule bei Johannes Schöllhorn lernte und jetzt in Berlin Meisterschüler bei Walter Zimmermann ist, schon an den Anfang ihres Quartetts gestellt. Aus der Formensprache des Romantikers abstrahierte sie die Elemente für ihren sinnlichen, lyrisch anmutenden Mittelteil: eine mit zeitgenössischen Mittel erzeugte berührende Seelenmusik.

Momente der Andacht prägten danach Klaus Hubers so hochkomplex verdichtetes Streichquartett „Moteti-Cantiones“ 1963 ebenso wie Schuberts 139 zuvor entstandenes Streichquartett d-Moll (D 810) „Der Tod und das Mädchen“. Das hatte mit den herausragenden Interpretationen des Nomos-Quartetts zu tun. Die Musiker haben ihre Konzertreihe „aus dem Innersten“ genannt – und es ist ihre große Qualität, eine Atmosphäre der Intimität im Konzertsaal herzustellen. Zu merken war das nach jedem Stück: Es war jedesmal ungewöhnlich lange still, bevor die Zuhörer im gut besuchten Pelikansaal begeistert applaudierten.